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Eröffnungsrede - Margot Prax

Michael Kos – Zeichnen ohne Stift

Michael Kos ist Zeichner, Bildhauer, Objektkünstler u. Autor. Darüber hinaus ist er ein eingefleischter Materialist. Soll heißen: Die Materialien, die er für seine Werke verwendet, sind von zentraler Bedeutung. Bezeichnend für ihn ist, dass er sich bei der Auswahl gerade nicht an der stofflichen Makellosigkeit und Einzigartigkeit orientiert. Wenn man sich in der Bildhauerei einen Brocken anstatt eines edlen Marmorblocks vorstellt, verblüfft es umso mehr. Dazu später ausführlicher.

Häufig greift er also zu recht lapidaren und alltäglichen Materialien, auf die wir regelmäßig treffen und die jeglicher Exklusivität und Kostbarkeit entbehren.
Wie auf einer Einkaufsliste scheinen Karton, Gummischnüre, Stadtpläne u. Schullandkarten auf. Ebenso präparierte Tierknochen, industriell gefertigte Kruzifixe, Schienen, Zelte oder Milchkannen für seine Installationen.

 Michael Kos setzt sich intensiv mit den Werkstoffen auseinander, hat ein hohes Verständnis für deren physikalischen Gegebenheiten, rückt sie aber nicht prominent in den Vordergrund. Sein Fokus ist klar darauf gerichtet, das energetische Potential, das dem jeweiligen Material innewohnt, aufzuspüren, frei zu legen und damit zu unterstreichen.
Am Beispiel „Federlesen“ zeigt sich das bestens. Das Material selbst bildet den Inhalt. Er entspringt förmlich dem Material. Die Idee der Vollkommenheit, die von Thomas Bernhard rigoros negiert wird, scheint hier in der Definition von Immanuel Kant meisterhaft umgesetzt:

Er wendet sich nämlich von einer schulmeisterhaften Ästhetik des „Gesolltseins“ in der Kunst ab, indem er das Vollkommene als „Verkörperung einer Idee in einer einzelnen Erscheinung“ sieht. In seinem Sinn hat demnach Michael Kos in dem unvollkommenen alltäglichen Material das Ideal/das Vollkommene für die optimale Umsetzung seiner Idee gefunden.

Für ein solches Gelingen bedarf es einer eindringlichen beinahe intimen Zuwendung zum Material, was als Konsequenz daraus eine starke Bearbeitung erübrigt. Es ist, was es ist. Es reichen schon minimalste sozusagen chirurgische Eingriffe, wie z.B. in der Serie „Gerissenes Papier“, um das Potential des in diesem Fall verwendeten Schwarz-Weiß-Kartons zu offenbaren.

Mit einem intensiven Bemühen um  die Betonung  und Pointierung der jeweiligen Charakteristik und einem handwerklich getriebenen Umgang mit den spezifischen Qualitäten schürft Michael Kos nach der Eigenart/ den Merkmalen im Material, die sich oft erst durch den künstlerischen Prozess erschließen. Manche würden möglicherweise den Begriff „Seele“ für angemessen erachten.

Aus dem vielfältigen Werk des Künstlers, zeigen wir als Galerie mit dem Schwerpunkt  Zeichnung seine graphischen Arbeiten. „Zeichnen ohne Stift“ so der Titel der Ausstellung, belegt auf eindrückliche Weise seine überzeugte Hingabe an seine Muse: Das Material. Bisweilen versteigt man sich darin, an ehrfürchtige Unterordnung zu denken. In Anbetracht des radikalen künstlerischen Gestaltungswillens von Michael Kos bleibt man davor allerdings bewahrt.

Von radikal zu sprechen, erscheint durchaus gerechtfertigt: Denn er verzichtet bei diesen  Arbeiten zur Gänze auf Stift und Strich. Die Linien, Strukturen und Schattierungen, die trotzdem sichtbar sind, haben ihren Ursprung in der Unmittelbarkeit des Materials, das Michael Kos - wie soeben dargelegt - sowohl  für die Gestaltung von Bild  als auch für die Form und den Inhalt heranzieht. So entstehen Material- u. Formmeditationen, die ihre künstlerische Verdichtung einer sorgsam überlegten Selektion und einem präzisen Konzept verdanken.

Die Methode des Verdichtens im wörtlichen Sinn begegnet uns bei der Werkgruppe „Mappings“, an der Michael Kos seit 2006 arbeitet. Es handelt sich dabei um eine Art Bildschlichtung, bei der diverse Karten u. Stadtpläne gefaltet, zerschnitten, auf Karton fixiert und nach farbigen oder graphischen Kriterien aneinander gefügt und anschließend in Boxen geschichtet oder in Klammern eingepasst werden. Mittels dieser Intervention und dadurch, dass der Alltagsgegenstand in einen ungewohnten Kontext gestellt wird, transformiert er dessen Bedeutung.

Überdies leitet die Dekonstruktion des Geographischen und die damit einher gehende Loslösung von der semantischen Ebene d.h. von der Fixierung auf den Wortsinn einen Bedeutungswechsel ein. Hier legt der Künstler sein Augenmerk auf das graphische Element, wodurch beim Betrachter der Eindruck  poetisch anmutender Landschaften evoziert wird.

Deutlich anders gewichtet sind die neuen „Mappings reloaded“. Fadenkreuz und Sucher, um ein Ziel ins Visier zu nehmen, beherrschen das Format und bestimmen den Inhalt. Der Fokus ist unmissverständlich auf ein Thema gerichtet. Einerseits drängen sich Assoziationen zu politischen Vorgängen wie etwa die Missachtung der Souveränität von Staaten auf. Andererseits steht man als Person exakt vor einem Fadenkreuz und fühlt sich unangenehm bedrängt, kontrolliert, überwacht.

Fragestellungen zu Politik, Gesellschaft, Religion, Kunst und Wirtschaft verhandelt Michael Kos in seinem Schaffen regelmäßig. Gegensätze, Widersprüchliches, sogar Paradoxien zu kombinieren, nimmt in seinem Oeuvre ebenso einen breiten Raum ein.

Weich und hart,  schwarz und weiß, künstlich und natürlich, schön und grauenhaft, sterblich und unendlich, Ebene und Raum gehen bei ihm überraschende und untypische Alliancen ein. Durch das Aufeinandertreffen verändern sich die Gegensätze zu Kontrasten, die die visuelle Wirkung noch verstärken.

Besonders prägnant fällt dieses Verfahren bei der aktuellen Werkserie „Relief-Papier“ aus. Mittels eines eigenen Verfahrens prägt Michael Kos das Papier zu einem Raster von Bildpunkten, die mit feinen Gummistiften besetzt sind. Teils vollflächig, als graphische Linierung oder als Schriftsetzung. Im fließenden Übergang von Fläche und Körperlichkeit verströmen die Reliefs ihre ästhetische Wirkung.

Zwischen den Gattungen Bild und Objekt angesiedelt sind die „Surrogate“. Wie die „Mappings“ basiert deren Konstruktion auch Schichtung, Sortierung und Montage. Über den künstlerischen Prozess gelangt ihr poetisches und ästhetisches Potential, das ansonsten lediglich auf der Ebene von handelsüblichen Werkstoffen in Erscheinung tritt, zur gebührenden Geltung.

Aufgeladen werden die dicht nebeneinander gesetzten bemalten Kartonstreifen durch Begrifflichkeiten oder Wortspiele, die ebenso integrale Bestandteile im Schaffen des Künstlers sind und häufig auf gesellschaftsrelevante Phänomene verweisen. Erinnert sei an dieser Stelle an die Arbeiten „Gold“ „True“ „Beauty“, die ich zu „Gut“ „Wahr“ und „Schön“ abgewandelt habe. Eine Variante dazu gibt es als „Glaube“ „Liebe“ „Hoffnung“.

Angesichts der changierenden und bei Bewegung vor dem Werk flirrenden Monochromie der Oberfläche stellen sich zudem Effekte ein, wie man sie vom Daumenkino kennt und Illusionen weckt.

Illusionistisch nennt Michael Kos auch die Vernähungen der Steine, womit sich der Bogen zu den unvollkommenen Materialien schließt. Denn wie schon  angedeutet, ist gerade in der Bildhauerei die Unversehrtheit und Erhabenheit des Steins das entscheidende  Auswahlkriterium. Im Taoismus und in der hebräischen Kabbala etwa beschwören Steine den Aspekt einer höheren kosmischen Entität. Die Verletzungen in Form von Rissen und Einschnitten wie bei diesen Exemplaren – wie auch beim „Gerissenen Papier“ - stehen dazu in eklatantem Widerspruch.

Mit den Vernähungen durch Gummischnüre operiert und repariert Michael Kos den Stein, um ihm eine Einheit ein Ganzes zu verleihen. Und trotzdem: Auch wenn die geplatzten Adern und die aufgerissenen Stellen vernäht werden, bleibt etwas Sichtbares zurück. Die Naht. Sie deckt zwar eine tiefer liegende Wunde zu, entfernt man die Gummischnüre, bleibt stets die sichtbare Narbe zurück.

Die elementare Frage, die sich Michael Kos damit stellt, lautet: Sind Wiedergutmachungen tatsächlich möglich oder ist es eine Illusion?

© Margot Prax
Hard, 18.10.2018

 
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